Börse-Intern
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Wie die Charts Ihnen Geschichten erzählen
Ausgabe vom 23.05.2016
Wie die Charts Ihnen Geschichten erzählen
von Torsten Ewert
Sehr verehrte Leserinnen und Leser,
in der Börse-Intern finden Sie bei charttechnischen Analysen immer wieder Formulierungen wie diese: „Wenn X geschieht, dann wird die Lage bullish(er), wenn Y geschieht, dann wird die Lage bearish(er).“ Manche Leser halten das für zu unkonkret und erwarten klarere Aussagen, wie „Jetzt kaufen/verkaufen!“ oder wenigstens „Kaufen/verkaufen oberhalb/unterhalb von XXX Punkten!“.
Welche Vorstellung haben Sie vom weiteren Kursverlauf?
Dabei zeichnet sich der seriöse Chartist bzw. der erfolgreiche Trader dadurch aus, dass er zu klaren Tradingempfehlungen erst über eine Vielzahl solcher Hinweise kommt. Diese sind jeder für sich vielleicht eher vage und ergeben erst in der Summe und in ihrem Zeitablauf ein klares Bild. Charts erzählen zwar Geschichten. Aber mitunter nur in Fortsetzungen – und jeden Tag kann es eine andere sein.
Idealerweise hat der Trader und Chartist aber jederzeit eine begründete Vorstellung davon, wie der weitere Kursverlauf aussehen sollte. Die Betonung liegt dabei auf „begründet“. Denn sicherlich haben die meisten Anleger durchaus eine Vorstellung von dem, was demnächst an der Börse geschehen soll. Aber allzu häufig entspringt diese Vorstellung reinem Wunschdenken.
Leider ist es so, dass viele charttechnische Methoden dem Analysten über weite Strecken keine geeigneten Werkzeuge bieten, um einen konkreten Kursverlauf zu begründen. Daher hat Jochen Steffens vor einigen Jahren die Target-Trend-Methode entwickelt. Sie bietet als einzige uns bekannte Methode den Vorteil, dass man als Trader jederzeit eine begründete Vorstellung über den weiteren Kursverlauf hat.
Die Target-Trend-Methode liefert einen begründeten „Fahrplan“
Genau das haben die Teilnehmer unseres Seminars zur Target-Trend-Methode, das Sven Weisenhaus und ich am Wochenende gehalten haben, bereits in der ersten Stunde erfahren. Im weiteren Verlauf haben sie dann natürlich all die Werkzeuge kennen- und beherrschen gelernt, die genau das ermöglichen.
Mitunter ist es aber so, dass mitunter auch die klassische Charttechnik bereits recht konkrete Hinweise bietet.
Betrachten wir dazu den aktuellen Chart des S&P 500:
Hier sehen Sie die laufende Konsolidierung (roter Kanal) nach dem steilen Anstieg seit Mitte Februar (grüner Kanal). Die entscheidende Frage ist hier natürlich, ob die Konsolidierung noch weitergeht oder der Anstieg bald wieder fortgesetzt wird. Tragen wir dazu die bullishen und bearishen Punkte zusammen:
Ein bearishes Szenario konnten Sie am Freitag in der Börse-Intern lesen. Dieses wäre nach dem nachhaltigen Bruch der blauen Linie zum Tragen gekommen. Das ist bisher ganz klar nicht geschehen. Daher will ich mich zunächst auf die bullishen Aspekte im aktuellen Chartbild konzentrieren.
Das aktuelle Chartbild im S&P 500
Da ist zunächst der steile Anstieg selbst. Dieser führte den S&P 500 vom Tief im Februar (siehe Pfeil 1) auf das bisherige Zwischenhoch im April (siehe Pfeil 2). Dabei stieg der Kurs um rund 16,6 % innerhalb von 47 Handelstagen (siehe grüner Balken unten im Chart). Ein derart starker Anstieg innerhalb so kurzer Zeit ist keine Selbstverständlichkeit. Einen gleich starken oder stärkeren Anstieg gab es im S&P 500 zuletzt im Dezember 2011, als die Rally nach dem „Haushaltsstreit-Crash“ im August 2011 wieder Fahrt aufnahm.
Auch zuvor sahen wir derart dynamische Anstiege vorzugsweise nach markanten Tiefs, z.B. nach der Finanzkrise 2009, dem Platzen der Internet-Blase 2002/3 oder der ersten Ölkrise 1975. In Baissephasen war ein Anstieg in dieser Größenordnung die absolute Ausnahme. Dieser historische Vergleich spricht also dafür, dass sich der S&P 500 aktuell (noch) in einer weiteren bullishen Phase der seit 2009 laufenden übergeordneten Rally befindet.
Anstieg und Konsolidierung – beides ist (noch) bullish!
Darauf deutet auch die bisherige Konsolidierung (roter Kanal) hin. Diese hat bislang erst gut 28 % des Anstiegs seit Mitte Februar korrigiert und das auch eher in moderater Form, also ohne dynamische Kursrücksetzer. Am Donnerstag vergangener Woche kam es 21 Handelstage nach dem April-Hoch zu einem vorläufigen Tief in dieser Konsolidierung (siehe Pfeil 3 und roter Balken unten im Chart). In starken Rallys (die der jüngste Anstieg ja war) ist es häufig so, dass etwa nach der Hälfte der Zeitdauer des vorangegangenen Anstiegs (47 Handelstage) die Konsolidierung ihr Tief ausbildet und die Rally wieder aufgenommen wird.
Da die Bären ihre Chance, eine SKS-Formation zu vollenden (siehe Börse-Intern vom 20.05.2016), ungenutzt haben verstreichen lassen, sollten nun die Bullen Oberwasser bekommen. Darauf deuten auch die jüngsten Kerzenmuster hin: eine eindeutige Umkehrkerze am Donnerstag und eine eher bullishe Kerze am Freitag. Letztere hat allerdings einen recht langen „Docht“, was ihre positive Aussage verwässert.
Sie erkennen sicherlich bereits an diesen wenigen Punkten, wie viele wichtige Hinweise in einem einzelnen Chart zu finden sind. Und beinahe jedes Detail trägt ein wichtiges Mosaiksteinchen zum Gesamtbild bei. Da ist es natürlich nur logisch, dass der nächste Tag – mit seinen vielen neuen Details – das heutige Bild unter Umständen komplett über den Haufen werfen kann.
Die aktuelle Einschätzung
Aber bis dahin lautet meine Einschätzung wie folgt:
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Aktuell ist die Lage im S&P 500 für mich tendenziell bullish. Eine bearishe Fortsetzung werde ich erst dann in Betracht ziehen, wenn die Unterkante des roten Konsolidierungskanals gebrochen wird. Eine Verlängerung des roten Kanals nach unten inklusive Bruch des Tiefs vom Donnerstag bzw. der blauen Zone sind noch keine hinreichend bearishen Hinweise. Innerhalb des roten Kanals, der eine Fortsetzungsformation (!) ist, kann der Kurs durchaus noch weiter zurückgehen, ohne die übergeordnet bullishe Tendenz zu gefährden.
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Innerhalb der kommenden Tage sollte der Kurs an die Oberkante des roten Kanals laufen. Im Idealfall erfolgt hier bereits ein Ausbruch. Die nur eingeschränkt bullishe Kerze vom Freitag deutet jedoch darauf hin, dass die Bullen dazu eventuell noch nicht die Kraft haben. Das wäre aber nicht schlimm: Nach einem Rückprall von der Oberkante des roten Kanals sollte dieser fortgesetzt werden (siehe 1.).
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Wenn es doch zu einem Ausbruch aus dem roten Kanal nach oben kommen sollte, dann dürfte dieser mangels ausreichender Kraft der Bullen eher wenig dynamisch verlaufen. Ein Ausbruch ist daher für mich nicht automatisch ein Kaufsignal, obwohl die klassische Charttechnik dies so postuliert.
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Selbst im Fall eines Ausbruchs (siehe 2.) gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kurs z.B. am jüngsten Zwischenhoch (siehe Pfeil 2) in eine Seitwärtsbewegung übergeht, deren Unterkante beispielsweise im Bereich der blauen Zone verlaufen könnte.
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Ein weiterer Ausbruch nach oben ist durch die Widerstände bei 2.116,5 Punkten und natürlich am Allzeithoch des S&P 500 bei knapp 2.135 Punkten vorläufig eher nicht zu erwarten. Allerdings können diese Niveaus ebenfalls als Oberkante einer möglichen Seitwärtsbewegung dienen.
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Aktuell erkenne ich für mich im S&P 500 und im gewählten Zeitbereich (Tageschart) keine Tradinggelegenheit.
Damit ist für mich dieser Fall zunächst erledigt. Für Außenstehende ist das jedoch unbefriedigend. Daher wird mir häufig die Frage gestellt, wann ich denn einsteigen würde. Die korrekte Antwort darauf lautet: Das kann ich erst sagen, wenn es soweit ist. Bis dahin sind eigentlich alle derartigen Prognosen sinnlos – weil eben die Lage morgen schon komplett anders sein kann.
Wo die Grenzen liegen
Natürlich, das lässt den Fragesteller weiterhin ratlos zurück. Also will ich nicht kneifen: Mit Blick auf den obigen Chart – und das ist eine sehr wesentliche Einschränkung! – kommt ein Einstieg vermutlich erst dann infrage, wenn der Kurs entweder auf ein neues Allzeithoch steigt (Long), wenn er aus dem roten Kanal nach unten ausbricht (Short) oder eventuell sogar, wenn er von der Oberkante einer neuen Seitwärtsbewegung nach unten abprallt (Short). Die konkrete Entscheidung darüber wird jedoch ausschließlich unter Maßgabe der Kursentwicklung bis dahin und der dann gültigen (vermutlich geänderten) Charteinschätzung getroffen!
Wenn diese Kursentwicklung darauf hindeutet, dass der Ausbruch oder die Umkehr nicht nachhaltig sein könnten – z.B. weil keine ausreichende Dynamik zu erkennen ist oder andere Faktoren den weiteren Kursverlauf in die jeweilige Richtung verhindern könnten – dann kommt es trotzdem zu keinem Trade.
Fazit oder Warum Sie sich mit Ihren Trades wohlfühlen sollten
Wie gesagt, Charts erzählen uns Geschichten. Das kann aber jeden Tag eine andere oder geänderte sein. Wir müssen nicht nur bereit sein, diesen ständig neuen Geschichten Tag für Tag zu lauschen, sondern auch unser Handeln darauf abzustimmen. Dafür braucht man – wie die obige Analyse andeutet – eine Menge Erfahrung und Wissen, aber auch eine ordentliche Portion Intuition. Weil jeder mit diesen Dingen in anderer Art und Weise gesegnet ist, kommen verschiedene Trader und Chartisten durchaus zu anderen Ergebnissen, selbst wenn sie genau ein und denselben Chart betrachten. (Wer z.B. kurzfristiger, also intraday „unterwegs“ ist, wird ohnehin eine komplett andere Einschätzung haben!)
Vor jeder Tradingentscheidung steht also eine länger andauernde Analyse. Diese geht danach natürlich ebenfalls weiter und ist genau genommen nie beendet. An diesen Analysen lassen wir Sie immer wieder teilhaben, damit Sie diese mit Ihren Einschätzungen vergleichen können. Die endgültige Entscheidung können und wollen wir Ihnen nicht abnehmen. Denn letztlich müssen Sie sich damit auch wohlfühlen.
Auch das ist übrigens ein Punkt, auf den wir bei unserem Seminar am Wochenende viel Wert gelegt haben: dass sich die Trader mit ihren Werkzeugen, Methoden und Entscheidungen wohlfühlen. Die Target-Trend-Methode, die wir den Teilnehmern gelehrt haben, liefert etliche neue Werkzeuge. Diese geben Ihnen auch dann Unterstützung bei der Lageeinschätzung, wenn die Charts mit klassischen Hilfsmitteln nicht so klar zu analysieren sind wie im heutigen Beispiel. Das verbessert nicht nur die Chartbeurteilung, sondern erhöht auch die Erfolgsquote der Trades. Und das führt zu einem höheren „Urvertrauen“ in die eigenen Fähigkeiten (auch wenn natürlich nicht jeder Trade zum Gewinn führt). Und ein höheres Selbstvertrauen erhöht Fähigkeiten und Erfolge abermals – und so weiter. Auch wenn wir weiterhin den Charts zuhören müssen, was sie uns erzählen – das Vergnügen an diesen Geschichten steigt beträchtlich.
Mit besten Grüßen
Ihr Torsten Ewert
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