Börse-Intern
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Was trotz Krisen und Ängsten weiterhin zählt
Ausgabe vom 28.02.2022
Was trotz Krisen und Ängsten weiterhin zählt
von Torsten Ewert
Sehr verehrte Leserinnen und Leser,
der Ukraine-Krieg bestimmt jetzt die Schlagzeilen. Unsere Gedanken und unser Mitgefühl sind jetzt natürlich bei den Ukrainern und allen anderen Menschen in den betroffenen Gebieten. Und ich denke auch an die Armeeangehörigen auf beiden Seiten, die ihre Köpfe für die Politik hinhalten müssen.
An den Börsen setzt aber schon wieder ein Gewöhnungseffekt ein. Und als Anleger müssen wir auch auf andere Dinge achten, insbesondere die Ergebnisse und Perspektiven der Unternehmen. Denn das tun die Profis auch.
Die (bisherige) Bilanz der US-Quartalsberichtssaison
Einen Anlass bietet die laufende Quartalsberichtssaison. In Europa ist sie noch in vollem Gang, in den USA steht sie vor ihrem Ende. Bereits 95 % der Unternehmen des S&P 500 haben ihre Zahlen vorgelegt, deren Aktien für 98 % der Marktkapitalisierung des Index stehen.
Insgesamt sind die Ergebnisse ordentlich ausgefallen. Laut dem Datenanbieter Factset haben 76 % der S&P-Unternehmen die Gewinnerwartungen um durchschnittlich 7,8 % übertroffen. Zum Vergleich: In den vergangenen 5 Jahren lagen diese Werte im Durchschnitt bei 76 % und 8,6 %. Bei den Umsätzen liegen diese Werte bei 78 % und 2,9 % (5-Jahresdurchschnitte: 68 %; 1,5 %).
Die Umsätze der Unternehmen konnten also stärker zulegen als die Gewinne. Wobei die Anleger allerdings verwöhnt sind: Vor gut 10 Jahren lag der historische Durchschnitt bei diesen Gewinnkennziffern nur bei Werten um 66 % bzw. 3,3 %. Fazit: Die US-Unternehmen haben im laufenden Bullenmarkt ihre Gewinnmaschinen ordentlich auf Touren gebracht!
Die Gewinne sind entscheidend!
Allerdings spiegeln die aktuellen Quartalsergebnisse der Unternehmen genau das Bild wider, das wir auch bei den Konjunkturdaten seit Monaten sehen: eine hohe Nachfrage bei steigenden Kosten. Dadurch steigen zwar die Umsätze, aber die Gewinne können nicht mithalten.
Für die Aktionäre sind allerdings die Gewinne entscheidend. Diese sorgen letztlich auch für Kursgewinne oder -verluste. Das war auch klar an den Kursreaktionen in dieser Berichtssaison zu erkennen.
Nicht honoriert, sondern abgestraft
So verwies der Datenanbieter FactSet kürzlich darauf, dass die Anleger positive Überraschungen bei den Ergebnissen weniger stark honoriert haben als in den vergangenen Jahren. Im Gegenzug haben sie die Aktien von Unternehmen, deren Zahlen enttäuschten, teilweise über Gebühr abgestraft.
Das prominenteste Beispiel ist die Aktie des Facebook-Mutterkonzerns Meta. Sie stürzte Anfang Februar binnen Minuten um 25 % ab, nachdem die Zahlen und insbesondere die weiteren Aussichten enttäuschten (siehe auch Börse-Intern vom 03.02.2022). Und Netflix brach in den beiden Tagen nach der Ergebnisveröffentlichung sogar um fast 31 % ein, obwohl der Gewinn höher ausfiel, als erwartet. Allerdings enttäuschte Netflix beim Wachstum der Abonnentenzahl und beim Ausblick.
Mäkelige Anleger
Doch auch jenseits dieser Extrembeispiele sind die Anleger sehr wählerisch. Das zeigt eine detaillierte Analyse von FactSet. Dabei wurden die Kursreaktionen gemessen – im Zeitraum von 2 Tagen vor bis 2 Tage nach der Ergebnisveröffentlichung. Das Resultat:
Quelle: eigene Darstellung mit Daten von FactSet (Stand 25.02.2022)
Bei positiven Überraschungen stiegen die Kurse im Durchschnitt nur um 0,2 %. Zum Vergleich: In den vergangenen 5 Jahren ging es in solchen Fällen durchschnittlich um 0,8 % nach oben (siehe linke Säulen). Bei negativen Überraschungen waren die Abschläge dagegen größer als der entsprechende 5-Jahresdurchschnitt (2,8 % vs. 2,3 %).
Laufen die Gewinnmaschinen mit voller Kraft weiter?
Die Investoren stellen angesichts der absehbaren Belastungen offenbar infrage, ob die Gewinnmaschinen auch in Zukunft mit der bisherigen Kraft weiterlaufen können. Werfen wir dazu einen Blick auf das Gewinnwachstum der vergangenen Jahre:
Quelle: eigene Darstellung mit Daten von FactSet (Stand 25.02.2022)
Die Zahlen erscheinen durchwachsen. Nach einem starken Jahr 2018 folgte ein maues 2019, dann 2020 der Einbruch infolge der Pandemie und eine fulminante Aufholjagd im vergangenen Jahr. Für das laufende Jahr rechnen die Analysten aktuell mit einem ordentlichen Aufschlag von 8,4 %; im nächsten Jahr sollen die Gewinne sogar wieder prozentual zweistellig wachsen (siehe blaue Säulen).
Aber was heißt das im Vergleich zu den Vorjahren? Dazu habe ich den Durchschnittswert der vergangenen beiden Jahre (2020 und 2021) berechnet (orange Säulen). Danach stiegen die Gewinne der US-Unternehmen in den vergangenen beiden Jahren trotz Pandemie um fast 13 % pro Jahr! Daran gemessen sind die prognostizierten Werte der beiden Folgejahre etwas ernüchternd.
Die Erwartungen bröckeln schon
Und es könnte sogar noch weniger werden. Darauf deutet die Entwicklung der Analystenschätzungen für 2022 über die vergangenen Monate hin.
Quelle: eigene Darstellung mit Daten von FactSet (Stand 25.02.2022)
Diese Grafik zeigt, wie sich die Werte verändert haben, welche die Analysten für das Umsatz- und Gewinnwachstum für 2022 erwarten. Am optimistischsten für die Gewinne (rote Säulen) waren die Analysten zu Beginn des 4. Quartals 2021 (ganz links). Danach ging es unter Schwankungen abwärts auf aktuell „nur noch“ 8,5 % (ganz rechts). Zwar legten in diesem Zeitraum die Umsatzschätzungen zu, aber ein geringeres Gewinnwachstum bei steigenden Umsätzen bedeutet, dass die Margen sinken.
Und das ist kein Wunder, schließlich werden die Lieferengpässe noch eine Weile anhalten, die Preise für Rohstoffe und Vormaterialien vorerst hoch bleiben. Und die Löhne werden aufgrund der rekordhohen Inflation sowie eines anhaltenden Arbeitskräftemangels weiter steigen. Hinzu kommen steigende Zinsen, die ebenfalls die Kosten für die Unternehmen erhöhen.
Ein Perspektivwechsel
Schauen wir aus diesem Blickwinkel noch einmal auf das Gewinnwachstum der S&P500-Unternehmen in den vergangenen Jahren, allerdings aus einer anderen Perspektive und über einen längeren Zeitraum:
Quelle: eigene Darstellung mit Daten von FactSet
Hier habe ich diesmal nicht das prozentuale Wachstum, sondern den Gewinn pro „Aktie“ des S&P 500 dargestellt. Auch ohne die Zahlenangaben in den Kästchen ist leicht zu erkennen, dass es bis 2019 einen eher moderaten Aufwärtstrend gab.
Wie das bisherige Wachstumstempo erreicht wurde
Und nun soll es in den kommenden Jahren mit Raten von 11 % p.a. weitergehen – und das trotz der oben genannten Belastungen? Sehr unwahrscheinlich, zumal dies ein historisch hoher Durchschnittswert wäre. Hinzu kommt, dass ein Großteil der bisherigen Gewinne dieses Bullenmarkts weniger der operativen Leistung der Unternehmen entspringt, sondern der Bilanzkosmetik bzw. dem sogenannten Financial Engineering.
Dabei werden nicht nur alle Register kreativer und erlaubter Buchhaltung gezogen, sondern die Gewinne vor allem durch Aktienrückkäufe gepusht (siehe auch Börse-Intern vom 20.05.2021). Dadurch sinkt die Zahl der umlaufenden Aktien, so dass sich der erwirtschaftete Gewinn auf eine geringere Zahl von Aktien verteilt. Der Gewinn wird also nur rein rechnerisch größer – ohne, dass das Unternehmen ein Produkt mehr verkauft oder einen Dollar zusätzlich eingespart hat.
Und der Gewinn pro Aktie ist in den USA eine viel beachtete Bewertungskennzahl, die auch für die Analystenschätzungen eine entscheidende Rolle spielt. Dadurch sind alle Zahlen in den Grafiken entsprechend aufgebläht.
Welcher wichtige Gewinntreiber demnächst wegfällt
Die Aktienrückkäufe wurden zum Teil auf Kredit durchgeführt – schließlich gab es reichlich Liquidität und die Zinsen waren niedrig. Mit steigenden Zinsen und dem Schrumpfen der Fed-Bilanz werden diese günstigen Umstände aber verschwinden. Liquidität wird dann zum raren Gut, das man daher besser intelligent einsetzt, statt es bei überhöhten Kursen für Aktienrückkäufe zu verschleudern.
Damit fällt ein wichtiger Gewinntreiber der vergangenen Jahre weg. Die Analysten haben ihn aber noch nicht aus ihren Kalkulationen verbannt. Schließlich scheint es, als ob sie den jüngsten Gewinntrend einfach linear fortgeschrieben haben.
Das Wichtigste beim Investieren
Analystenschätzungen und Anlegererwartungen sind aber unterschiedliche Dinge. Während die Analysten offenbar noch unkritisch auf weiteres Wachstum setzen, sind die Investoren schon wählerischer. Das zeigen uns die genannten Kursreaktionen auf die Quartalsberichte. Es ist also gut möglich, dass auch die Analysten ihre Prognose bald weiter nach unten korrigieren.
Es mag sein, dass viele Anleger in einer Euphorie ohne Nachdenken den steigenden Kursen hinterherlaufen. Aber viele Investoren – und zwar oft diejenigen, welche die Märkte entscheidend bewegen können – achten auch in überschwänglichen Zeiten auf das Wichtigste: die Gewinne und das Gewinnwachstum.
Das vergessen sie auch trotz aller Krisen und Ängste nicht. Schließlich beeinflusst alles, was Krisen und Ängste auslöst, auch die Gewinne. Und seien wir mal ehrlich. Nur darum geht es den meisten doch bei einer Investition...
Mit besten Grüßen
Ihr Torsten Ewert
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