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Ignorieren Anleger diverse Probleme?
Ausgabe vom 08.12.2021
Ignorieren Anleger diverse Probleme?
von Sven Weisenhaus
Die Angst vor Omikron scheint an den Börsen verflogen. Der Grund dafür ist, dass einige Daten auf milde Krankheitsverläufe bei einer Ansteckung mit Covid-19 durch die neue Variante deuten. US-Virologe Dr. Anthony Fauci hatte jüngst gesagt, alle Anzeichen würden dafür sprechen, dass Omikron zwar ansteckender, dafür aber weniger gefährlich sei. Und ein Experte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält es für höchst unwahrscheinlich, dass die neue Virus-Variante den Schutz von Impfstoffen komplett aushebeln könnte. Das sind positive Nachrichten, die zu der jüngsten Erleichterungsrally an den Aktienmärkten geführt haben.
Corona-Nachrichtenlage birgt weiterhin Unsicherheiten
Doch es bleiben Unsicherheiten. Denn es wird zugleich zumindest eine verringerte Wirksamkeit der Impfstoffe befürchtet. Laut einer Studie erzeugen die aktuellen Impfstoffe eine schwächere Immunantwort gegen Omikron. Die Neutralisierung von Omikron habe im Vergleich zu einem früheren Covid-Stamm „sehr stark abgenommen“, erklärte Alex Sigal, Professor am Africa Health Research Institute in Südafrika auf Basis vorläufiger Ergebnisse. Konkret soll der Biontech/Pfizer-Impfstoff einen 40 % geringeren Schutz gegen Omikron bieten. Virologin Sandra Ciesek vom Universitätsklinikum Frankfurt schrieb daher auf Twitter: „Die Daten bestärken, dass die Entwicklung eines an Omikron angepassten Impfstoffs sinnvoll ist“.
Bislang ist die Datenlage allerdings noch relativ dürftig, so dass sowohl weitere positive als auch negativere Nachrichten folgen könnten. Auch eine weitere Virusvariante kann jederzeit die Lage erneut ändern. Daher kann es auch jederzeit wieder zu Rückschlägen und einem Stimmungsumschwung an den Aktienmärkten kommen.
Ausmaß der jüngsten Kursrally überraschend
Auch wenn die gestrige Kurserholung im DAX mit Blick auf die börsentäglichen Analysen im Target-Trend-Spezial nicht überraschend kam, so wundere ich mich doch über das Ausmaß der jüngsten Aufwärtsbewegungen der Aktienindizes. Denn es gibt weitere Ereignisse, deren Entwicklungen man noch nicht abschätzen kann und die durchaus das Zeug haben, die Anleger wieder zum Rückzug vom Markt zu bewegen.
Anhaltende Probleme am chinesischen Immobilienmarkt
So spitzt sich die Krise am chinesischen Immobilienmarkt weiter zu. Neben dem medial bereits stark im Fokus stehenden Unternehmen Evergrande kann auch das angeschlagene chinesische Bauunternehmen Kaisa laut Insider-Berichten eine Frist für die Begleichung von Verbindlichkeiten nicht einhalten. Die Aktien von Kaisa wurden daher in Hongkong vom Handel ausgesetzt.
Vor diesem Hintergrund sah sich die chinesische Notenbank (PBoC) wohl genötigt, dem Markt Liquidität im Volumen von 10 Mrd. CNY zuzuführen. Zudem wurden die Leitzinsen um 25 Basispunkte gesenkt. Der 3-Monatszins liegt damit nun bei 1,7 %, der 6-Monatszins bei 1,9 % und der Zins für einjährige Kredite bei 2,0 %.
Derweil gibt es neue Spannungen zwischen den USA und China, weil die US-Regierung die Olympischen Spiele diplomatisch boykottieren wird und China Vergeltungsmaßnahmen angedroht hat.
Es droht ein russischer Einmarsch in die Ukraine
Zugleich nehmen die Drohungen gegen Russland im Konflikt mit der Ukraine deutlich zu. Grund dafür sind Befürchtungen, Russland könne mit militärischer Gewalt in sein Nachbarland einmarschieren. US-Präsident Joe Biden warnte gestern seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin für diesen Fall vor „starken wirtschaftlichen und anderen Maßnahmen“.
Wichtige Notenbankentscheidungen stehen an
Unabhängig davon werden in der kommenden Woche am Mittwoch und Donnerstag binnen 24 Stunden die geldpolitischen Entscheidungen der Federal Reserve Bank (Fed), der Bank of England (BoE) und der Europäischen Zentralbank (EZB) bekannt gegeben. Zwar sind hier kaum Überraschungen zu erwarten, die Kursreaktionen könnten aber im Umfeld der Termine volatil ausfallen.
Probleme bislang ohne neue Nachteile für die Wirtschaft
Es gibt also diverse Gründe, am Markt weiterhin sehr vorsichtig zu agieren. Sicherlich kann man dagegen bullish argumentieren, dass in Sachen Corona die Lage aktuell unter Kontrolle scheint und sich ein Überschwappen der Probleme am chinesischen Immobilienmarkt auf andere Branchen oder Länder bislang nicht abzeichnet. Zudem werden sich bloße diplomatische Streitigkeiten zwischen China und den USA nicht negativ auf die Wirtschaft auswirken. Außerdem halten die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine schon seit der Annexion der Krim im Jahre 2014 an, ohne dass es zu einer weiteren Eskalation gekommen ist.
Insofern sind alle aktuellen Probleme bislang ohne neue Nachteile für die Wirtschaft und die Unternehmen. Und so erscheint es logisch, dass sich die Aktienindizes jüngst wieder stabil bzw. gar stark präsentieren konnten. Es gibt allerdings klare Anzeichen dafür, dass die Anleger die diversen Probleme nicht ignorieren, sondern bereits deutlich darauf reagiert haben.
Erst am stärksten gefallen, dann am stärksten gestiegen
Ein Index von Goldman Sachs fokussiert sich auf Tech-Werte, die nicht profitabel sind (Goldman Sachs „Non-Profitable Technology Index“). Und demnach haben diese Aktien im Durchschnitt innerhalb von vier Wochen etwa 25 % nachgegeben. Zudem kursiert ein Chart, wonach ca. 60 % aller Aktien des Nasdaq Composite 20 % und etwa ein Drittel sogar 50 % unter ihrem Hoch der vergangenen 200 Tage notieren.
Am Freitag hatte ich dazu geschrieben, dass es auch einen Vorteil hat, wenn so viele Aktien schon so stark korrigiert haben: „Wenn diese Aktien nun einen Boden finden und zu neuen Aufwärtsbewegungen ansetzen und die Schwergewichte zugleich weiterhin gefragt bleiben, kann es noch zu einer ordentlichen Jahresendrally kommen.“ Und tatsächlich wurde die gestrige Kursrally von den Tech-Werten angeführt, die zuletzt am meisten nachgegeben hatten.
Allerdings bin ich der Meinung, dass einige dieser Aktien in der Übertreibung der Aktienmärkte der vergangenen Monate zu hoch gejubelt wurden und die aktuellen Kursabschläge daher zumeist berechtigt waren. Insofern wären erneute Kursanstiege bei diesen Werten wieder zu einem Großteil nur heiße Luft, was neuerlichen Korrekturbedarf bedeuten würde. Vielleicht haben wir gestern auch nur einen Short-Squeeze gesehen.
Nur eine Handvoll Aktien hält die US-Indizes oben
Der Titel der Börse-Intern vom Freitag lautete übrigens „Nur eine Handvoll Aktien hält die US-Indizes oben“. Und dazu passt auch die Information, wonach angeblich allein vier Aktien – nämlich die von Microsoft, Apple, Nvidia und Google – fast 70 % der gesamten Performance des S&P 500 in den vergangenen 6 Monaten ausgemacht haben. Dadurch hat sich der Index lediglich um 5,24 % von seinem Rekordhoch entfernt (siehe gestrige Börse-Intern), während die Aktien des S&P 1500 (enthält die Aktien des S&P 500, des Mid-Cap-Index S&P 400 und des Small-Cap-Index S&P 600) laut einer Grafik von Bespoke Investment im Durchschnitt 19,1 % von ihren 52-Wochen-Hochs verloren haben.
Auch diese Informationen verdeutlichen, dass es unter der Oberfläche schon mächtig gebrodelt hat, während die Aktienindizes in den USA den Schein einer heilen Welt wahren, weil einige wenige Aktien hochprofitabler Tech-Unternehmen die Indizes oben gehalten haben.
Auf das Schlimmste vorbereitet sein
Vor diesem Hintergrund vermag ich auch nicht zu sagen, ob sich nicht eines der genannten Probleme noch ausweitet. Wie würden wohl die Anleger reagieren, wenn zum Beispiel Russland tatsächlich in die Ukraine einmarschiert?! Ein solches Ereignis könnte für die Börsen sogar eine Art schwarzer Schwan sein.
Vielleicht bleiben dann die vier besagten Aktien weiterhin gefragt, weil deren Produkte weiterhin gefragt sein dürften, während der breite Aktienmarkt wieder bzw. weiter verkauft wird?! Lassen Sie sich daher von der starken Performance der US-Indizes nicht blenden! Diese scheinen aktuell von einigen wenigen Aktien abhängig. Und das birgt auch Gefahren, wenn zum Beispiel Apple in Kürze statt 2,8 Billionen „nur noch“ 2 Billionen Dollar wert wäre, was immer noch eine völlig akzeptable Marktbewertung darstellen würde.
In der Hektik Ruhe bewahren
Letztlich passt das volatile Auf und Ab der Indizes derzeit zu der Nachrichtenlage und den aktuellen Ereignissen und Entwicklungen. Die Unsicherheit ist relativ hoch. Und diese spiegelt sich in den Kursbewegungen wider. Mal nehmen die Marktteilnehmer vorsichtshalber Gewinne mit, dann steigen sie schnell wieder ein, um die womöglich nächste Kursrally nicht zu verpassen.
Nervenschonend ist es, wenn man in einer solchen Phase ruhig bleibt und nicht jeder Marktbewegung durch entsprechende Transaktionen hinterherrennt. Stattdessen kann man durch leichte Anpassungen das Depot optimieren, indem man zum Beispiel Gewinne mitnimmt, die Absicherung durch nachgezogene Stopps oder Short-Positionen leicht erhöht und/oder bei gefallenen Kursen einzelne Schnäppchenkäufe tätigt. Und wenn sich dann der nächste Trend klar abzeichnet, kann man immer noch größere Transaktionen durchführen.
Doch aktuell befinden sich die Märkte noch nicht wieder in einem klaren Trend. Stattdessen muss sich erst zeigen, ob die jüngsten Aufwärtsimpulse die vorherige Korrektur beendet und einen neuen Aufwärtstrend eingeleitet haben oder diese lediglich ein Short-Squeeze in der Korrektur waren.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus
www.stockstreet.de
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