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Woher weiß man, warum Anleger tun, was sie tun?

Ausgabe vom 10.02.2021

Woher weiß man, warum Anleger tun, was sie tun?

von Sven Weisenhaus

Kürzlich schrieb ein Leser, er würde große Indexbewegungen beobachten, die er vorher noch nie gesehen habe. „Für mich scheint es so, aus als würde im großen Stil umgeschichtet werden“, mutmaßte der Leser. Und er fragte: „Wer ist mächtig genug, um diese Bewegungen auszuführen und wieder aufzufangen oder was könnte denn der Grund für dieses Scenario sein, dass der Dow an der Oberkante der Trompeten-Formation gehalten wird? Vielleicht haben Sie ja eine Ahnung, wie dies zustande kommt und teilen ihr Wissen, darüber würde ich mich freuen.

Verkäufer treffen auf genügend Käufer

Einen möglichen Grund für die Stärke der Aktienindizes hatte ich gestern in der Börse-Intern bereits geliefert – siehe „Massiver Neukundenansturm lässt Handelsvolumen explodieren“. Es werden aktuell also viele neue Anleger an die Börsen gelockt, auch weil die Aktienmärkte auf Rekordniveau stehen und eine extreme Aufwärtsbewegung hinter sich haben. Potentielle Anleger sehen die hohen Kursgewinne der Vergangenheit und glauben, dass sich diese Entwicklung fortsetzt.

Aber nicht nur Kleinanleger treiben die Aktienmärkte weiter nach oben. Auch große Investoren erhalten durch die anhaltend expansive Geldpolitik und die Konjunkturpakete der Regierungen immer neue Finanzmittel, die investiert werden können oder gar müssen. Dabei ist auch eine Vermischung möglich. Wenn Kleinanleger ihr Erspartes in Indexfonds oder ETF anlegen, dann müssen diese Fonds das Geld entsprechend ihres Anlageziels investieren.

Wenn nun gleichzeitig einige Investoren Gewinne mitnehmen und Positionen verkaufen möchten, dann treffen sie auf eine ausreichend große Nachfrage, so dass die Aktienindizes während der Umschichtungen im großen Stil, die der Leser nach eigenen Angaben aktuell beobachtet, ihr Niveau halten bzw. sogar noch Kursgewinne erzielen können.

Niemand kennt die Motive aller Anleger

Aber wer aus welchen Gründen konkret den Weg an den Aktienmarkt findet und welche Umschichtungen aktuell stattfinden, darüber hat niemand umfassende Informationen. Denn die Motive der einzelnen Anleger sind in den seltensten Fällen bekannt. Um diese Informationen zu erhalten, müssten man weltweit jeden Käufer und Verkäufer nach dem Grund für seine Transaktionen befragen. Das ist schlicht unmöglich. Und daher ist es nur eine häufige Illusion der Kleinanleger, dass irgendjemand am Finanzmarkt über solche vollumfänglichen Informationen verfügt.

Medien scheinen immer zu wissen, warum Anleger tun, was sie tun

Diese Vorstellung wird auch dadurch geweckt, dass man im Fernsehen immer wieder sieht oder in Artikeln immer wieder liest, aus welchem Grund Anleger angeblich in Aktien eingestiegen, die Aktienkurse oder Aktienindizes also gestiegen sind – und umgekehrt.

Die erste Frage, die man hier stellen müsste, ist, von welchen Anlegern dabei konkret die Rede ist, welche Anleger also für diese Erkenntnis konkret befragt wurden. Im besten Falle haben sich einige wenige Anleger, Investoren oder Fondsmanager  – gefragt oder ungefragt – dazu geäußert, die dann im Idealfall zumindest einigermaßen repräsentativ für den Gesamtmarkt sind. Meist handelt es sich aber einfach nur um eine typische Floskel („wie von Händlern zu hören war“), um zu verschleiern, dass hier schlicht Mutmaßungen getroffen werden, die auf mehr oder weniger offensichtlichen Zusammenhängen beruhen.

Eindeutige Zusammenhänge

Wenn zum Beispiel ein Unternehmen positive Nachrichten oder Geschäftszahlen veröffentlicht und dessen Aktienkurs daraufhin steigt, dann liegt es nahe, dass Anleger aufgrund dieser Meldung verstärkt kauften.

Oder nehmen wir ein konkretes aktuelles Beispiel: Heute wurden um 14:30 Uhr in den USA Inflationsdaten veröffentlicht. Eigentlich hatten Experten einen Anstieg erwartet. Doch stattdessen blieb die Rate der jährlichen Inflation im Januar mit +1,4 % unverändert zum Vormonat. Und die Kernrate gab sogar auf +1,4 % nach, von +1,6 % im Dezember.

Inflation in den USA (jährlich)

Die Aktienindizes in den USA machten um genau 14:30 Uhr im Future-Handel einen kleinen Satz nach oben und markierten neue Rekordstände. Hier kann man einen klaren Zusammenhang der Kursanstiege mit der Veröffentlichung der Inflationsdaten herstellen. Und die Marktreaktion lässt sich wie folgt sinnvoll erklären:

Da die Anleiherenditen in der jüngeren Vergangenheit aufgrund von steigenden Inflationserwartungen angezogen hatten und dies zunehmend problematisch für den Aktienmarkt wurde, haben die aktuellen Inflationsdaten für Erleichterung und somit steigende Kurse an den Aktienmärkten gesorgt. Denn bei einer anhaltend niedrigen Inflation, die unterhalb des Ziels der Notenbank liegt, kann diese ihre expansive Geldpolitik ungestört fortsetzen.

Die Wahrscheinlichkeit ist daher hoch, dass eine Mehrheit der Anleger wegen der überraschend schwachen Inflationsdaten um 14:30 Uhr auf steigende Aktienkurse gesetzt hat. Aufgrund der sehr schnellen Reaktion der Aktienmärkte liegt es allerdings auch nahe, dass hier primär Computerprogramme am Werk waren, welche die Markterwartungen mit den tatsächlichen Daten abgeglichen und dann automatisch Orders ausgeführt haben, hier Kauforders.

Reine Floskeln und bloße Mutmaßungen

Wenn aber, wie in den vergangenen Tagen immer wieder zu sehen und zu lesen war, angeblich die Aussicht auf das 1,9 Billionen schwere Konjunkturpaket der USA die Anleger zu Aktienkäufen veranlasst haben soll, dann ist dies inzwischen einfach nur noch eine Floskel und nicht mehr als eine reine Mutmaßung.

Und an deren Sinnhaftigkeit kann man auch durchaus zweifeln. Denn über das Konjunkturpaket wird schon seit Wochen und Monaten gesprochen. Es dürfte daher längst in den Kursen eingepreist sein. Und inzwischen wird eher darüber diskutiert, ob US-Präsident Joe Biden es überhaupt in dem gewünschten Umfang durchbekommt.

Viel plausibler für die aktuelle Stärke der US-Indizes der vergangenen Tage ist daher die simple Erkenntnis, dass die Kurse steigen, weil sie steigen (siehe oben). Die Hausse nährt die Hausse.

Mit dem Wissen ist es an der Börse so eine Sache

Nachdem ich diese Zeilen der heutigen Börse-Intern geschrieben habe, fiel mir ein, dass ich schon einen ähnlichen Artikel verfasst habe. Schnell nachgeschaut und fündig geworden: Am 15. Mai 2020 lautete der Titel der Börse-Intern „Mit dem Wissen ist es an der Börse so eine Sache“. Damals ging es um die Frage eines Lesers, welchen Anteil der automatische Computerhandel an den Börsenbewegungen hat, was die Börsen aktuell befeuert (die Notenbankliquidität?) und wie das Geld der Notenbanken den Weg an die Börse findet. Und mit dem Verweis auf diesen Artikel schließe ich die heutige Börse-Intern und empfehle Ihnen, soweit Sie noch weitere Informationen zu diesem Thema wünschen, die Lektüre von damals.


Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus
www.stockstreet.de

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