Börse-Intern
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Sind die Märkte schon wieder in einer Übertreibung?
Ausgabe vom 10.11.2020
Sind die Märkte schon wieder in einer Übertreibung?
von Sven Weisenhaus
Die gestrigen Kursgewinne im DAX sehe ich mit gemischten Gefühlen. Einerseits ist die Freude groß, weil auch die Depots der Stockstreet-Börsenbriefe einen ordentlichen Sprung nach oben gemacht haben. Andererseits mutet ein Kursanstieg um stolze 1.741 Punkte bzw. satte 15 % binnen gerade einmal 6 Handelstagen schon wieder wie eine massive Übertreibung an (siehe dazu auch Börse-Intern vom vergangenen Donnerstag zum Kursanstieg der US-Indizes).
Natürlich kann man die aktuellen Kursgewinne mit fundamentalen Entwicklungen begründen. Aber ob die jüngsten Ereignisse es wirklich wert waren, den DAX in so kurzer Zeit um dieses Ausmaß in die Höhe zu katapultieren, darüber lässt sich streiten.
Warum feiern die Aktienmärkte plötzlich einen Präsident Biden?
So startete der deutsche Leitindex gestern bereits mit einer relativ großen Aufwärtslücke in den Handel. Als Grund dafür kann herhalten, dass die Medien Joe Biden am Samstag zum Sieger der Präsidentschaftswahl gekürt haben. Doch hier scheint es so, dass Kurse wieder einmal Nachrichten machen. Denn ich erinnere mich, dass eigentlich Donald Trump als Liebling der Börsen galt. Hat daher aus Sicht der Anleger nicht der falsche Kandidat das Rennen gemacht? Müssten die Aktienkurse somit nicht eigentlich purzeln? Schließlich steht ein demokratischer Präsident Biden für Steuerhöhungen, die naturgemäß die Wirtschaft eher belasten.
In allen denkbaren Konstellationen stehen sich Vor- und Nachteile gegenüber
Doch dazu wird es wohl nicht kommen, denn schließlich liegt der Senat ja noch mehrheitlich in republikanischer Hand. Und dieser Senat wird Steuererhöhungspläne von Biden blockieren, so das Argument der Marktteilnehmer für die steigenden Aktienkurse bereits in der vergangenen Woche (siehe dazu auch Börse-Intern vom vergangenen Donnerstag). Wirklich schlüssig ist dies aber nach wie vor nicht. Denn es ist durchaus möglich, dass sich die Sitzverteilung im Senat noch zugunsten der Demokraten verändert, da im Januar noch Stichwahlen anstehen. Zudem kann ein republikanischer Senat auch ein großes Konjunkturpaket der Demokraten weiterhin blockieren, wie es in der Vergangenheit bereits der Fall war. Und das ist klar bearish für den Aktienmarkt. Vor- und Nachteile eines republikanischen Senats stehen sich also gegenüber.
Aber auch dazu hat der Markt inzwischen bereits eine passende Erklärung für die steigenden Aktienkurse gefunden. Schließlich sei Kontinuität für den Aktienmarkt bullish. Und die Blockadehaltung des Senats könne dafür sorgen, dass alles so bleibt wie es aktuell ist. Und das sei doch toll für den Aktienmarkt, so einige Marktkommentatoren.
Und wenn der Senat doch noch mehrheitlich demokratisch wird, dann haben die Märkte auch dafür bullishe Argumente: Schließlich könnte es dann zwar zu höheren Steuern für gut verdienende Unternehmen und Reiche kommen, doch gleichzeitig wäre ein größeres Konjunkturpaket möglich, welches bislang durch die Republikaner blockiert wurde. Und so stehen sich auch hier Vor- und Nachteile gegenüber.
Das denkbar schlimmste Szenario der Börsen ist eingetreten
Wenn sich aber Vor- und Nachteile gegenüberstehen, sich diese womöglich ausgleichen oder alles beim Alten bleibt, dann ist dies aus meiner Sicht kein Grund für die steigenden Kurse. Stattdessen wäre eine anhaltende Seitwärtskonsolidierung (auf hohem Niveau) für mich die logischere Konsequenz gewesen.
Zudem erinnere ich auch daran, dass die Aktienmärkte Unsicherheit angeblich nicht mögen. Und das schlimmste Szenario, welches die Börsen vor der Wahl gemalt hatten, war ein Sieg Bidens, der von Trump nicht akzeptiert wird und somit zu einem problematischen Machtgezerre führt (siehe auch Börse-Intern vom vergangenen Mittwoch). Genau dieses Szenario haben wir derzeit. Aber dennoch ist der DAX um 15 % binnen 6 Tagen gestiegen. Und die US-Indizes sind sogar auf neue Allzeithochs geklettert.
Ist die Reaktion der Börsen auf einen Impfstoff angemessen?
Geholfen hat dabei auch noch die Meldung zum Impfstoff von Biontech und Pfizer, der die Aktienindizes gestern zusätzlich in die Höhe katapultierte und eine Sektorrotation auslöste. Die beiden Pharmaunternehmen meldeten, dass ihr Vakzin einen 90-prozentigen Schutz gegen das Virus bieten könnte. Kommende Woche soll in den USA bereits eine Zulassung beantragt werden. Und sicherlich kann man sich über diese Meldung freuen, mit der Kursgewinne auch begründet erscheinen. Aber in diesem Ausmaß halte ich sie eindeutig für übertrieben.
Denn wie lauteten die Prognosen der Experten zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs in den vergangenen Wochen und Monaten? Man war sich relativ einig darüber, dass ein solcher Impfstoff im kommenden Jahr im 1. oder 2. Quartal zur Verfügung stehen werde. Und diese Erwartung wurde durch die gestrige Meldung lediglich bestätigt.
Dabei ist eine solche Meldung nicht die erste, die auf die Märkte trifft. Und es war zu erwarten, dass es bald wieder positive Nachrichten in dieser Hinsicht gibt. Schließlich wird laut der folgenden Grafik von Statista aktuell weltweit an insgesamt 225 Covid-19-Impfstoffen geforscht, wovon sich 11 Kandidaten derzeit in der Phase III befinden.
Und Experten sprechen nun nicht von einem Durchbruch, sondern „nur“ von einem wichtigen Meilenstein. Denn selbst, wenn ein Impfstoff noch in diesem Jahr die Zulassung erhält, wird es trotzdem noch einige Monate dauern, bis die Verteilung flächendeckend erfolgt ist und eine ausreichende Immunität vorliegt, so dass die Wirtschaft wieder normal laufen kann. Bis dahin werden viele Unternehmen, deren Aktien gestern teilweise um ein Drittel nach oben geschossen sind (Flugzeugbauer, Flughafenbetreiber, Kreuzfahrtunternehmen, Reiseunternehmen), noch hohe Verluste schreiben. Das Verhältnis von aktuellen Kursgewinnen zum kurz- und mittelfristigen Geschäftspotential steht somit in einem Missverhältnis.
Der Markt hatte viele Unternehmen zu negativ bewertet
Allerdings hatte der Markt aus meiner Sicht viele Unternehmen zu negativ eingeschätzt. Im Premium-Trader habe ich jüngst einige unserer Depotpositionen sehr genau charttechnisch und fundamental analysiert und auf solche Unterbewertungen hingewiesen. Die Aktien einiger dieser Unternehmen haben nach Vorlage aktueller Geschäftszahlen und/oder aktualisierter Prognosen auch deutliche Kurssprünge verzeichnet, womit sich klar abzeichnete, dass der Markt zuvor nach unten übertrieben hatte. Und so sehe ich viele Kursanstiege, die es in den vergangenen Handelstagen gegeben hat, als absolut berechtigt an, auch in ihrem Ausmaß. Denn dadurch wurden unterbewertete Aktien vom Markt nun wieder optimistischer bewertet.
Derweil wurden durch die oben genannte Sektorrotation Aktien verkauft, die deutlich zu positiv eingeschätzt wurden und teilweise extrem überbewertet waren. Der Nasdaq 100 als Sammelbecken für Technologieaktien gab daher auch gestern recht kräftig nach, während die Old-Economy-Indizes wie der DAX, der Euro STOXX 50 oder der Dow Jones stark zulegen konnten. Heute zeichnet sich die gleiche Entwicklung ab.
Sind die Märkte schon wieder in einer Übertreibung?
Insofern sehe ich die Märkte in einer Übertreibung, allerdings durchaus in unterschiedlicher Hinsicht bzw. in verschiedenen Richtungen. Es kommt, wie immer, darauf an. Insgesamt gesehen sind die Aktienmärkte nach wie vor fundamental relativ hoch bewertet – dazu noch einmal die Grafik aus der Börse-Intern vom 28. Oktober:
(Quelle: Berenberg Märkte | Monitor)
Man muss die Märkte aber differenziert und im Detail betrachten. Auf der einen Seite werden Übertreibungen, die es jüngst nach oben gegeben hat, aktuell nach unten korrigiert (siehe zum Beispiel Krisengewinner wie Apple, Delivery Hero oder Zalando). Und auf der anderen Seite werden Übertreibungen, die es nach unten gegeben hat, nach oben korrigiert (unter anderem Banken, Versicherungen und unzählige weitere konjunktursensible Werte). Dadurch werden einige Übertreibungen abgebaut (siehe auch folgende Grafik von Statista).
Das führt kurzfristig allerdings zu neuen Übertreibungen, in Form von extrem starken Kursbewegungen in extrem kurzer Zeit.
Es ist sehr viel Spekulation im Markt
Ein Grund dafür ist, dass sehr viel Spekulation im Markt ist. Diese ist einerseits ein Ergebnis der Geldpolitik, die extrem viel Liquidität in die Märkte gepumpt hat und immer noch pumpt. Und es ist andererseits ein Ergebnis der Fiskalpolitik, die in den USA zum Beispiel dazu geführt hatte, dass Arbeitslose für einen begrenzten Zeitraum mehr Geld zur Verfügung hatten als während ihrer zuvor verlorenen Jobs. In dieser Zeit sind sehr viele neue Trader an die Börsen gestürmt, die sehr aktiv sind und kurzfristige Kursbewegungen verstärken.
Die aktuelle Volatilität dürfte uns daher noch eine Weile begleiten. Und da diese derzeit geprägt ist von plötzlichen und schnellen Richtungswechseln, muss man weiterhin sehr vorsichtig sein bei Engagements an der Börse.
Aktuelle Trends vorsichtig ausnutzen
Derzeit werden alle Nachrichten, die irgendwie positiv interpretiert werden können, für Käufe genutzt. Negative Nachrichten werden derweil vollkommen ignoriert. Diesen Trend kann man nutzen. Die Stimmung der Anleger ist allerdings wechselhaft. Noch vor zwei Wochen sah vieles kurzfristig sehr bearish aus. Aktuell sieht es sehr bullish aus. Wer weiß, wie die Chartbilder in zwei Wochen aussehen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Trading
Ihr
Sven Weisenhaus
www.stockstreet.de
PS: Die jüngsten dynamischen Kurserholungen haben bei den Stockstreet-Börsenbriefen zum Beispiel dazu geführt, dass aus dem Depot des Optionsscheine-Expert-Trader heute ein Trade auf die Aktien der Deutschen Telekom mit einem Gewinn von 12 % verkauft werden konnte (Teilverkauf).
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