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Was ist mit dem NASDAQ 100 los?
Ausgabe vom 19.10.2020
Was ist mit dem NASDAQ 100 los?
von Torsten Ewert
Sehr verehrte Leserinnen und Leser,
im DAX blieb es in der Verfallstagswoche bei der von mir erwarteten Seitwärtsbewegung. Zum Verfallstermin am vergangenen Freitag wurde der DAX bei 12.812,26 Punkten abgerechnet – und damit sehr dicht an dem in der Vorwoche genannten Optimum für die Stillhalter bei 12.850 Punkten.
Auch mit Beginn der neuen Woche bleibt der DAX in seiner Seitwärtsbewegung gefangen. Das gibt uns Zeit, auf eine andere bemerkenswerte Entwicklung zu schauen: die mögliche Abkehr der Anleger vom bisherigen Favoriten NASDAQ 100.
Technologiewerte rücken in den Fokus der Aufmerksamkeit
Wie ich in der Vorwoche betont hatte, beginnt nun die heiße Phase der US-Quartalsberichtssaison. In dieser und den beiden folgenden Wochen werden mehr als 400 Unternehmen des S&P 500 ihre Zahlen vorlegen, also gut 80 % aller S&P500-Mitglieder.
Während es in der Vorwoche die Banken waren, die im Zentrum des Zahlenreigens standen, geht es nun zunehmend für die wichtigen Technologiewerte darum, durch gute Ergebnisse und/oder optimistische Ausblicke in der Gunst von Anlegern und Analysten zu steigen.
So werden in dieser Woche mit IBM und Intel zwei Indexschwergewichte und Tech-Veteranen Einblick in ihre Bücher geben, außerdem Tesla und Netflix. Letztere sind keine klassischen Tech-Werte, aber vielbeachtete und vor allem bedeutsame Unternehmen. Sie können für den NASDAQ 100 bestimmend sein, der bekanntlich der Treiber der bisherigen Rally war.
Können die Tech-Größen ihre Vorschusslorbeeren noch rechtfertigen?
Schon in der Vorwoche zeigte sich, dass die Anleger nicht mehr automatisch den Tech-Größen zujubeln. So stieß Apples Präsentation des neuen iPhone 12, auf die ich in der Vorwoche hinwies, auf wenig Begeisterung bei den Börsianern: Apple gehörte am Dienstag, dem Tag der Präsentation zu den Schlusslichtern des NASDAQ 100. Nur einige Touristikunternehmen mussten an diesem Tag größere Tagesverluste hinnehmen…
Auch bei Tesla und Netflix hängen die Trauben hoch. Bei Tesla wird es z.B. vor allem darum gehen, ob das Unternehmen seine Prognose aufrechterhalten wird, in diesem Jahr 500.000 Fahrzeuge auszuliefern. Bei Netflix haben erst kürzlich etliche Analystenhäuser ihre Kursziele erhöht, darunter Morgan Stanley, Goldman Sachs und Bank of America. Für das Unternehmen geht es also darum, diese Vorschusslorbeeren zu rechtfertigen.
Wie die Tech-Rally den Markt insgesamt überdehnt hat
Falls sich die Anleger enttäuscht zeigen, könnte es nicht nur für Apple, Tesla und Netflix nach unten gehen, sondern für den NASDAQ 100 insgesamt. Als Rally-Treiber haben die Technologiewerte sehr starken Anteil am Anstieg des S&P 500. Das ist kein neues Phänomen, sonders es war während der Technologieblase Ende der 1990er Jahre genauso (siehe dunkelrote Säulen im folgenden Diagramm).
(Quelle: Standard & Poor’s)
Nach dem Platzen der Blase ab dem Jahr 2000 musste der Technologiesektor seinen Spitzenplatz für die Finanzwerte (lila Säulen) räumen. Auch die Energiewerte (braune Säulen) waren Ende 2007 führend im S&P 500. Die Finanzwerte mussten bekanntlich in der Finanzkrise Federn lassen, die Energieunternehmen gingen mit dem Einbruch der Ölpreise unter.
Favoritenwechsel sind nichts Neues
Favoritenwechsel an der Börse sind also nichts Neues. Und auch, wenn der Technologiesektor von seiner extremen Vormachtstellung des Jahres 2000 (34,5 % Anteil im S&P 500) derzeit noch ein Stück weit entfernt ist, so ist sein Gewicht im US-Leitindex allein in den vergangenen knapp 22 Monaten um satte 40 % gestiegen – von 20,1 % Ende 2018 bis auf aktuell 28,2 %!
Wenn also die Technologiewerte demnächst erneut in Ungnade bei den Investoren fallen – aus welchen Gründen auch immer – wird es auch für den US-Markt insgesamt steil bergab gehen.
Die Beliebtheit des NASDAQ 100 ist nicht mehr ungebrochen
Auffallend ist, dass die Beliebtheit des NASDAQ 100 – und damit der Technologiewerte – offenbar nicht mehr ungebrochen ist, wie es noch bis vor Kurzem der Fall war. Dazu der folgende Chartvergleich von NASDAQ 100 (oben) und S&P 500 (unten):
Ich habe den Juni als Startzeitpunkt gewählt, weil in diesem Monat der NASDAQ 100 über sein Februarhoch ausbrach. Der S&P 500 war damals noch ein gutes Stück von seinem Februarhoch entfernt (siehe jeweils dicke dunkelgrüne Linien). Der NASDAQ 100 zeigte also eine klare Stärke und lief dem breiten Markt voraus: Der S&P 500 folgte ihm erst im August auf neue Hochs.
Übergeordnet ist das scheinbar auch weiterhin der Fall – schließlich notiert der NASDAQ 100 immer noch komfortabel über der dunkelgrünen Linie, während der S&P 500 längst wieder mit ihr kämpft. In den vergangenen Wochen zeigten sich aber immer wieder kleinere Schwächesignale des NASDAQ 100 (siehe Pfeile).
Kleine Schwächesignale – selbst in der Aufwärtsbewegung
In der Septemberkorrektur konnte der NASDAQ 100 anders als der S&P 500 in der kleinen Gegenbewegung nicht bis an das zuvor markierte Zwischenhoch vorstoßen (siehe blaue Linie, linker roter Pfeil im oberen bzw. linker grüner Pfeil im unteren Chartteil). Dieses Schwächesignal könnte man noch dem üblichen Muster zuschreiben, wonach der NASDAQ 100 in Korrekturen stärker verliert als der S&P 500 (im September z.B.: NASDAQ 100 -14,16 %; S&P 500 -10,55 %).
Aber unlängst zeigte er sich sogar in der neuen Aufwärtsbewegung schwächer und schaffte den Ausbruch über die blaue Linie erst einen Tag später als der S&P 500 (siehe rechter roter Pfeil im oberen und rechter grüner Pfeil im unteren Chartteil). Das ist sehr ungewöhnlich, denn bisher zeigte sich der NASDAQ 100 in Aufwärtsbewegungen sofort sehr stark.
„Unerklärliches“ Wechselspiel von Stärke und Schwäche
Es gab allerdings auch einige eindeutige Stärkezeichen des Technologieindex. So gab es im NASDAQ 100 am Ende der Septemberkorrektur kein neues Tief mehr, im S&P 500 dagegen schon. Und in der Vorwoche drehte der NASDAQ 100 deutlich vor der blauen Linie wieder nach oben, während der S&P 500 fast bis zurück auf diese Linie fiel.
Natürlich können Sie nun sagen, dass ich Gespenster sehe oder Erbsenzählerei betreibe. Aber die Marktbeobachtung und Charttechnik leben davon, dass man das Gras wachsen hört und Mosaikstein an Mosaikstein fügt. Und zusammen mit anderen Hinweisen ergibt sich für mich folgendes Bild: Die Anleger sind offenbar uneins über die weitere Richtung des NASDAQ 100 und damit des Marktes.
Welche beiden Gruppen ihren Kampf ausfechten
Ich gehe sogar soweit zu sagen, dass es inzwischen zwei Gruppen gibt, deren unterschiedliche Ansichten über den Markt unter anderem in oben genannten „Nicklichkeiten“ zum Ausdruck kommen: Die eine Gruppe ist weiterhin bullish und nutzt jeden Rücksetzer zum Einstieg bei den beliebten Technologietiteln. Ich wage die Behauptung, dass dies eher die unerfahrenen und jungen Anleger sind, die womöglich weder die Finanzkrise noch die Baisse ab 2000 als Börsianer erlebten.
Die andere Gruppe kauft nicht mehr unbesehen diese überteuerten Technologiewerte, sondern nutzt entsprechende Gelegenheiten eher zum Verkauf. Das dürften erfahrene und professionelle Anleger sein, die ihr Kapital allmählich umschichten. (Wohin dieses Geld womöglich fließt und welche Indizien ich dafür sehe, habe ich den Leser meines „Geldanlage-Briefs“ in den vergangenen zwei Wochenausgaben detailliert erklärt.)
Ein gewohnt frühzeitiger Hinweis von Stockstreet
Beide Phänomene – sowohl das Wechselspiel von Stärke und Schwäche im NASDAQ 100 als auch die mögliche Kapitalumschichtung – stecken derzeit noch ganz in ihren Anfängen. (Aber solche frühen Hinweise von uns kennen Sie ja inzwischen zur Genüge.)
Es kann sein, dass sich diese Tendenzen verstärken, aber es ist genauso möglich, dass sie sich wieder verflüchtigen. Ein Anlass für Letzteres könnte z.B. eine Eskalation der Corona-Pandemie sein, welche die Wirtschaft zu weiterer Digitalisierung zwingt und dadurch die Geschäfte der Tech-Werte (und damit ihre Aktienkurse) wieder ankurbelt.
Wenn es allerdings dazu zu kommt, aber die Kurse des Technologiesektors dann keine hinreichende Stärke zeigen, wäre das übrigens eine Bestätigung meiner These.
Steigen die Kurse weiter an der „Mauer der Angst“?
Klar ist aber auch: In jeder Übertreibung gibt es solche und andere Zweifel. Das haben wir im laufenden Bullenmarkt seit 2009 oft genug erlebt und hier beschrieben. Die meisten Zweifel verflüchtigen sich und die Kurse steigen an der „Mauer der Angst“ weiter nach oben. Das kann auch jetzt wieder der Fall sein. Insbesondere wenn der NASDAQ 100 demnächst erneut eine uneingeschränkte Stärke zeigt, sind die Zweifler einmal mehr Lügen gestraft worden.
Achten Sie also in nächster Zeit vor allem auf die Technologiewerte und den NASDAQ 100. Die bevorstehende heiße Phase der Quartalsberichtssaison wird dazu reichlich Gelegenheit bieten.
Mit besten Grüßen
Ihr Torsten Ewert
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