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Kurse machen Nachrichten – immer häufiger mit absurden Ergebnissen
Ausgabe vom 06.10.2020
Kurse machen Nachrichten – immer häufiger mit absurden Ergebnissen
von Sven Weisenhaus
Diverse Medien berichten aktuell fast ausschließlich, dass die schnelle Rückkehr des an Covid-19 erkrankten US-Präsidenten ins Weiße Haus für die freundliche Stimmung am Aktienmarkt verantwortlich war. Das mag zwar sein, weil damit ein wenig Unsicherheit aus dem Markt entwichen ist, doch die gute Stimmung an den Börsen dürfte auch von weiteren Aspekten getrieben worden sein, über die ich nachfolgend auch noch berichten werde.
Andere Kurse, gleiche Begründung
Zuvor möchte ich Ihnen aber noch eine Absurdität aufzeigen, die mir häufiger bei den verschiedenen Kommentaren zum Markt begegnet. Immer wieder werden die Nachrichten über bestimmte Ereignisse an den Börsen danach angepasst, wie die Kurse gerade stehen. Und die Ergebnisse von diesem an der Börse längst bekannten „Kurse machen Nachrichten“ nehmen dabei teilweise schon fast groteske Züge an.
Trumps Rückkehr ins Weiße Haus hinterlässt die Märkte richtungslos
Um ca. 12:45 Uhr (MEZ) lief über die Nachrichtenticker eine Meldung, dass Europas Aktienmärkte nach der Rückkehr von US-Präsident Donald Trump ins Weiße Haus auf der Stelle getreten sind. „Der Markt ist komplett richtungslos“, soll angeblich ein Händler gesagt haben. Welcher Händler dazu genau gefragt wurde, blieb wie so oft offen. Jedenfalls gaben DAX und Euro STOXX 50 laut der Agenturmeldung zu diesem Zeitpunkt jeweils rund 0,1 % nach.
Trumps Rückkehr ins Weiße Haus sorgt für steigende Kurse
Um 15:08 Uhr (MEZ) hat sich die Meldung bereits verändert. Interessanterweise schreibt derselbe Redakteur: „Die Rückkehr von US-Präsident Donald Trump aus der Klinik in das Weiße Haus hat Europas Börsen auf den höchsten Stand seit gut zwei Wochen getrieben. Der Dax stieg am Dienstag um 0,8 Prozent auf 12.926 Punkte, der Euro STOXX 50 gewann 0,6 Prozent auf 3239 Zähler.“
Sicher man kann seine Meinung ändern, gerade an den Börsen, aber in diesem Fall ist selbst diese Meinungsänderung etwas unglücklich. Denn die Nachricht, dass Trump das Krankenhaus verlassen hat, war bereits um 12:45 Uhr uralt (Trump verließ das Krankenhaus gegen Mitternacht MEZ) und längst in den Kursen eingepreist. Dass die Aktienmärkte wiederum weitere zwei Stunden später dann doch noch von dieser Meldung getrieben worden sind, ist kaum noch in einen kausalen Zusammenhang zu bringen.
Nachrichtenfabriken – wird der Content noch von Experten produziert?
Ein immer größeres Problem ist, dass viele Medien einfach nur noch Content kaufen und diesen dann fast 1:1 auf ihren Internetseiten weiterverbreiten. Mit anderen Worten: Einige Agenturen fungieren inzwischen als Nachrichtenfabriken. Sie produzieren Nachrichten „am laufenden Band“. Diese werden von meist eher unerfahrenen Redakteuren geschrieben, die zum Teil sehr wenig an einer einzelnen Meldung verdienen und somit auf Masse produzieren. So ist es nur logisch, dass die Qualität der Recherche und der Meldungen leidet. Nachrichten, die wirklich noch von Experten verfasst werden, werden dadurch leider immer seltener.
Doch nicht nur das: Durch das Kaufen von Content geht die Nachrichtenvielfalt verloren. Dadurch wird es immer schwieriger, sich ein Bild zu machen, welches sonst üblicherweise durch die Analyse verschiedener Meinungen zu dem gleichen Thema entsteht. Hinzu kommt noch eine weitere Unsitte. Immer häufiger finden sich im Internet von Computern generierte Nachrichten. Hier arbeitet nicht mal mehr ein Redakteur, sondern Computer werten Nachrichten aus und verfassen dazu standardisierte Texte.
Ich kann hier nur hoffen, dass Leser solcher Nachrichten erfahren genug sind, um diesen Unsinn zu durchschauen.
Es gibt gute Frühindikatoren, der Aktienmarkt ist einer der besten
von Sven Weisenhaus
Kommen wir damit zurück zum eigentlichen Thema und einem weiteren Grund dafür, dass die Aktienmärkte derzeit gut gelaunt erscheinen: Gestern wurden einige überraschend gute Konjunkturdaten veröffentlicht. Unter anderem wurden die Schnellschätzungen zu den Einkaufsmanagerindizes deutlich nach oben revidiert. Der Dienstleistungsindex für Deutschland fiel zum Beispiel nicht, wie am 23. September berichtet, auf 49,1 Punkte und damit unter die Wachstumsschwelle von 50 Zählern, sondern er blieb mit 50,6 darüber.
Der Gesamt-Einkaufsmanagerindex gab dadurch nicht von 54,4 im August auf 53,7 Punkte im September nach, sondern er legte sogar auf 54,7 Zähler zu.
Und damit erklärt sich vielleicht auch, warum die Aktienkurse bei Veröffentlichung der Schnellschätzungen am 23. September nicht gefallen, sondern sogar gestiegen sind. Offenbar sind die Börsen immer noch die besten Indikatoren für die tatsächliche Wirtschaftsentwicklung.
Viertes Auftragsplus in Folge
Der Anstieg des Gesamt-Einkaufsmanagerindex wurde übrigens laut IHS Markit insbesondere vom stärksten Aufschwung im verarbeitenden Gewerbe seit Dezember 2017 getragen. Und passend dazu wurden heute Zahlen vom Statistischen Bundesamt zum Auftragseingang im verarbeitenden Gewerbe gemeldet, welche die Daten von IHS Markit bestätigen:
Nach den vorläufigen Angaben lagen die Aufträge im August 2020 4,5 % höher als im Juli 2020. Das war schon der vierte Anstieg in Folge. Ökonomen hatten lediglich mit einem Plus von 2,6 % gerechnet. Zudem wurde das Wachstum vom Juli von zunächst ermittelten 2,8 % auf nunmehr 3,3 % nach oben revidiert.
Im Vergleich zu Februar 2020, dem Monat vor dem Beginn der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie in Deutschland, war der Auftragseingang im August 2020 nur noch um 3,6 % niedriger.
DAX-Verlauf ähnelt dem der Frühindikatoren
Und mit diesen Wirtschaftsdaten lässt sich auch sehr gut begründen, warum der DAX nur um rund 7 % unter dem Vorkrisenniveau steht und lediglich weiter seitwärts tendiert (siehe gelber Pfeil im folgenden Chart), statt in eine stärkere Herbstkorrektur zu gehen.
Der DAX-Verlauf ähnelt sehr dem der Konjunkturdaten wie den Auftragseingängen und den Einkaufsmanagerdaten, die zu Recht als zuverlässige Frühindikatoren gelten. Da der Aktienmarkt aber quasi in Echtzeit einen Eindruck vom Zustand der Wirtschaft liefert, während die meisten Konjunkturdaten nur monatlich (und oft mit deutlicher Verspätung) veröffentlicht werden, ist der Aktienmarkt als Frühindikator zu bevorzugen. (Zu dem gleichen Ergebnis ist Torsten Ewert auch in der gestrigen Börse-Intern gekommen.)
Weil der Aktienmarkt aber kurzfristig stark stimmungsabhängig ist und von weiteren Einflüssen (Geldpolitik etc.) getrieben wird, sollte man die Kursentwicklungen der Aktienindizes mit den Wirtschaftsdaten und die Kursentwicklungen einzelner Aktien mit den Unternehmensbilanzen und -prognosen abgleichen, um mögliche Kursübertreibungen nach oben und unten zu erkennen.
DAX fair bewertet, US-Indizes hoch bewertet
Bei einer solchen „Vergleichs-Analyse“ erscheint mir der DAX derzeit durchaus fair bewertet. Im Gegensatz dazu stehen die US-Indizes zu hoch. Sie sind insbesondere aufgrund einiger Technologieaktien fundamental überbewertet und trotz ihrer jüngsten Korrekturen oder Konsolidierungen noch charttechnisch überkauft. Das gilt auch, obwohl die Wirtschaftsdaten aus den USA zuletzt tendenziell sogar noch besser ausgefallen sind als hierzulande.
Und eine weitergehende Korrektur erscheint absehbar, wenn die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus weiter ansteigt, daraufhin weitere Maßnahmen beschlossen werden und sich dadurch die Stimmung insbesondere im Dienstleistungssektor weiter eintrübt.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Trading
Ihr
Sven Weisenhaus
www.stockstreet.de
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