Börse-Intern
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Wenn an den Börsen aus wahnsinnig übertrieben völlig verrückt wird
Ausgabe vom 08.07.2020
Wenn es an den Börsen nicht nur wahnsinnig übertrieben, sondern völlig verrückt wird
von Sven Weisenhaus
Am Donnerstag vergangener Woche hatten Jochen Steffens und ich unseren Lesern in der Wochenausgabe des Premium-Trader geschrieben, dass die aktuellen Entwicklungen an den Aktienmärkten inzwischen immer mehr an die „Neuer Markt“-Blase um das Jahr 2000 herum erinnern. „Zumal auch jetzt wieder insbesondere Internet- und Technologieunternehmen auf immer höhere Kurse und damit Bewertungen getrieben werden. Der Nasdaq 100 hat gestern mit mehr als 10.300 Punkten schon wieder ein neues Allzeithoch erreicht, während Dow Jones und S&P 500 noch in Konsolidierungen stecken“, war dazu zu lesen.
Und als prominentestes Beispiel dafür und dass wir uns auch aktuell wieder in einer ähnlichen Übertreibung wie damals befinden, nannten wir Tesla: „Die Aktie des Elektro-Autobauers stieg auf mehr als 1.100 Dollar und erreichte damit einen Börsenwert von rund 210 Milliarden Dollar. Tesla ist damit nun der Autohersteller mit dem weltweit höchsten Börsenwert. Dabei machte das Unternehmen im 1. Quartal 2020 gerade einmal einen Gewinn von 16 Millionen Dollar bei einem Umsatz von 5,99 Milliarden Dollar. Und Tesla verkaufte im vergangenen Jahr nur knapp 370.000 Fahrzeuge, während Toyota mehr als 10 Millionen Wagen absetzte und dennoch mit seinem Börsenwert nur noch auf Platz 2 rangiert.“ Nun, inzwischen notiert Tesla schon bei 1.400 Dollar, also noch einmal 300 Dollar bzw. 27 % mehr – weniger als eine Woche später.
Viele werden sich nur noch dunkel an die Zeit der „Neuer Markt“-Blase erinnern, andere werden zu dieser Zeit noch gar nicht gehandelt haben. Immerhin liegt dieses Ereignis rund 20 Jahre zurück. Also folgt heute ein höchst aufschlussreicher Rückblick
Der wahnsinnige Anstieg
Der Nasdaq 100 stand am 16.07.1996 erst bei 572 Punkten. (Das mag man mit Blick auf den gestrigen Stand von zwischenzeitlich 10.572 Punkten – also exakt 10.000 Punkte mehr – kaum glauben.) Doch nach nur zwei Jahren war er damals immerhin schon auf 1.485 Punkte nach oben gesprungen, also um rund 900 Zähler bzw. 160 %.
160 % in nur zwei Jahren, das ist ohne Frage schon ein wahnsinniger Anstieg für einen Aktienindex! Zu diesem Zeitpunkt fingen erfahrene Analysten und Spekulanten bereits an, den Markt als stark überbewertet zu bezeichnen.
Total verrückt
Aber der Anstieg ging weiter und die Übertreibung wurde zum Programm eines entfesselten Marktes. Denn nach einer saisonal typischen Konsolidierung vom Sommer bis zum Herbst 1998 stieg der Nasdaq 100 nun in nur drei Monaten um fast 1.100 Zähler bzw. 100 % von 1.056 auf 2.152 Punkte.
1.100 Punkte bzw. 100 % und somit eine Verdopplung in nur drei Monaten! Jeder halbwegs vernünftige Analyst bezeichnete damals diese Entwicklung als „völlig verrückt“. Und aus diesem Grund verabschiedeten sich Anfang 1999 viele institutionelle Anleger aus dem Markt. Das zeigte sich auch daran, dass anschließend die Kurse bis Juni / Oktober 1999 seitwärts liefen. Aber warum sind sie in dieser Zeit nicht gefallen?
Kleinanleger kauften den Profis ihre überteuerten Aktien ab
Es kam zu einem Phänomen, dass im Abstand von Jahrzehnten immer wieder die Börse heimsucht. Und es ist die stärkste, aber auch unberechenbarste Kraft, die es an den Märkten gibt: Die Macht der entfesselten und gierigen Kleinanleger! Denn es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Kleinanlegern und institutionellen Anlegern: Institutionelle Anleger legen meistens ihren Fokus auf die fundamentale Bewertung einer Aktie. Kleinanleger, besonders diejenigen in solchen Kleianlegerrallys, die erst neu in den Markt strömen und dementsprechend wenig Erfahrung mitbringen, kennen sich dagegen kaum bis gar nicht mit fundamentaler Analyse aus. Sie reagieren lediglich auf Kursgewinne, die in der jüngeren Vergangenheit erzielt wurden und gehen davon aus, dass sich diese in die Zukunft fortsetzen. Und so sind es eben diese unerfahrenen Kleinanleger, die Aktien noch zu Bewertungen kaufen, die jenseits jeder Vernunft liegen.
1999 geschah genau das. Angezogen von den (Medien-)Berichten über die hohen Gewinne der vergangenen Jahre, Monate, Wochen oder auch nur Tagen strömten immer mehr dieser unerfahrenen Kleinanleger in den Markt und kauften die schon absurd hoch bewerteten Aktien. Und so erklärt sich das, was dann folgte: Anfang Juni 1999 zündete der Markt die nächste und letzte Stufe der damaligen Blase.
Die völlige Übertreibung
Nach dem zuvor bereits unglaublich starken Anstieg wurde der Markt total verrückt. Der damals als „Hausfrauenrally“ bezeichnete Anstieg übertraf alles. Der Markt stieg vom Juni 1999 bis März 2000 um sagenhafte 2.857 Zähler bzw. weitere knapp 150 % auf 4.816 Punkte und ging damit in eine völlige Übertreibung über, zumal sich die Aufwärtsbewegung ab Oktober 1999 noch einmal deutlich beschleunigte und der eigentliche Anstieg somit wieder nur wenige Monate (5) dauerte.
Die euphorische Stimmung der Kleinanleger erreichte den Siedepunkt. Kritische Stimmen gab es kaum mehr, beziehungsweise es hörte niemand auf sie. Warnende Experten wurden stattdessen sogar ausgelacht, als veraltete Miesepeter bezeichnet, etc. (so wie aktuell Warren Buffet als alt und unfähig bezeichnet wird, weil er sehr viel Cash aufgebaut hat).
Wenn man sich jedoch bewusst macht, dass der Nasdaq100 in nur knapp vier Jahren (Juli 1996 bis März 2000) um 741,96 % gestiegen ist, wird schnell klar, dass es natürlich nicht so weitergehen konnte. Die Blase platzte.
Vergleich: damals mit heute
Ich möchte Ihnen dazu nun noch einen weiteren Chart zeigen:
Er zeigt den Kursverlauf des Nasdaq 100 von 1996 bis 2000 (rot) und seine aktuelle Entwicklung (schwarz). (Der rote Kursverlauf ist nach rechts und unten verschoben, damit man die Parallelität besser erkennt.) Die Ähnlichkeit ist mehr als verblüffend, vor allem, wenn man den Corona-Einbruch einmal außen vorlässt. Dieser Vergleich ist also ein Hinweis darauf, dass wir uns wahrscheinlich wieder nahe eines entscheidenden Hochs befinden.
Millionen Kleinanleger strömen an die Börsen
Zumal es auch aktuell wieder sehr deutliche Anzeichen dafür gibt, dass unerfahrene Kleinanleger überteuerte Aktien von Profis abkaufen. So war in der eingange genannten Wochenausgabe des Premium-Trader auch zu lesen, dass man an die Zeiten des Neuen Marktes derzeit auch deshalb erinnert wird, weil weltweit wieder „Millionen Kleinanleger an die Börsen stürmen. Medienberichten zufolge haben sich hierzulande jüngst weit mehr als 500.000 Menschen mit neuen Depots an die Börse gewagt. Flatex vereichnete zum Beispiel mit circa 70.000 neuen Depotkunden und damit einem Plus von 20 % ein absolutes Rekordhalbjahr. Bei der Comdirect-Bank eröffneten allein in den Monaten März und April jeweils mehr als 50.000 Anleger neue Depots, drei- bis viermal so viele wie in den entsprechenden Vorjahresmonaten“.
Torsten Ewert schrieb seinen Lesern des Geldanlage-Brief in der Wochenausgabe vom vergangenen Freitag: „In den USA gewann die Trading-App Robinhood laut Forbes allein im 1. Quartal 3 Millionen neue Kunden. Das sind satte 0,9 % der US-Bevölkerung! In Deutschland steigerte der Billigbroker Trade Republic zwischen Februar und April seine Kundenzahl um mehr als 50 %...“
Das Problem ist nun, dass solche Kleinanleger-Rallys in ihrer Macht und ihrer Beständigkeit nicht zu prognosizieren sind. Man kann also nicht sagen, wie lange diese noch gehen wird. Doch das ist auch nicht wichtig, denn entscheidend ist es, zu wissen, dass wir uns in der letzten Stufe der Rally befinden. Wobei dies womöglich schon nur noch für die Technologieaktien gilt. Denn im DAX, Dow Jones und S&P 500 stecken wir vielleicht bereits in Phase 3 oder 4 eines Crashs (siehe Börse-Intern vom 27. Mai).
Kommt wieder ein langer Bärenmarkt?
Werden Sie also jetzt höchst vorsichtig! Denn was der Rally im Jahr 2000 folgte, waren drei Jahre Crash:
Die Kurse fielen dabei fast wieder auf das Anfangsniveau von 1996. Sehr viele der unerfahrenen und gierigen Kleinanleger, die nie langanhaltend fallende Kurse erlebt haben und jeden neuen, tieferen Dip zum Nachkaufen nutzten, verloren viel Geld und gingen aus dem vorangegangenen Boom teilweise sogar stark überschuldet hervor, ohne diesen überhaupt richtig mitgemacht zu haben. Und das könnte sich bald wiederholen.
Machen Sie also nicht den Fehler, den damals so viele gemacht haben. Buy the Dip (Kaufe den Rücksetzer) ist in Aufwärtstrend sinnvoll. Aber irgendwann wird diese Taktik sehr teuer bis ruinös. Denn dann funktioniert sie nicht mehr…
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage
Ihr
Sven Weisenhaus
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