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Wir müssen uns an geringere Wachstumsraten gewöhnen
Ausgabe vom 10.06.2016
Wir müssen uns an geringere Wachstumsraten gewöhnen
von Sven Weisenhaus
Vor den wichtigen Terminen wie der Notenbanksitzung in den USA in der kommenden Woche und der Abstimmung über den Verbleib Großbritanniens in der EU am 23. Juni scheinen die Anleger wieder vermehrt Aktien zu verkaufen, um die Risiken in ihren Depots zu reduzieren. Der DAX ist dadurch heute mit einer Abwärtslücke in den Handel gestartet, die zu einem Bruch des seit Februar gültigen Aufwärtstrendkanals führte (roter Pfeil).
Damit bewegt sich der DAX nun mit großen Schritten wieder auf die Rechteckgrenze bei 9.750 Punkten zu. Sollte diese auch noch gebrochen werden, dann wäre nicht auszuschließen, dass die das Februar-Tief noch einmal sehen. Entwarnung gibt es nun erst wieder, wenn der DAX den Trendkanal zurückerobern kann.
Bleibt es bei einer Seitwärtsbewegung auf hohem Niveau?
Dies passt auch zu den Analysen der US-Indizes S&P 500 (Montag) und Dow Jones (vorgestern). Beide stehen kurz vor ihren Allzeithochs vor wichtigen Widerständen. Können diese erobert werden, ist alles im grünen Bereich. Sollten die Kurse aber daran scheitern und nach unten abprallen, so wäre auch in den US-Indizes ein erneutes Erreichen der Februar-Tiefs möglich. Damit würde dort das Szenario einer großen Seitwärtsbewegung auf hohem Niveau weiter Form annehmen.
Sorgen um die Weltkonjunktur
Noch ist unklar, ob die US-Indizes nachhaltig an den aktuellen Widerständen scheitern. Denn aktuell sind die jüngsten Kursverluste gering. Man sollte sich aber trotzdem einmal die Gründe vor Augen führen, die für weiter fallende Kurse sprechen:
Fallende Kurse würden zu der aktuellen Sorge um die Weltkonjunktur passen. So hat erst kürzlich die Weltbank ihre Prognose für das globale Wirtschaftswachstum in diesem Jahr von zuletzt 2,9 Prozent auf nun 2,4 Prozent gesenkt. Grund für den pessimistischeren Ausblick sei eine Anfälligkeit der globalen Wirtschaft für einen scharfen Konjunkturabschwung, weil die Schwierigkeiten in den Schwellenländern zunehmen und die Industrieländer nicht richtig in Schwung kommen. Passend dazu wurde auch die Wachstumsprognose für die USA von 2,7 auf 1,8 Prozent zurückgenommen.
Obwohl China als Sorgenkind gilt, sieht die Weltbank dort die Wirtschaft unverändert mit 6,7 Prozent in diesem Jahr wachsen. Dennoch sind die Sorgen auch um das Wachstum in Asien damit nicht ausgeräumt. Denn von dort kamen jüngst keine ermunternden Daten.
So fielen zum Beispiel die Erzeugerpreise Chinas im Mai auf Jahressicht um 2,8 Prozent, nachdem sie bereits im Vormonat um 3,3 Prozent nachgegeben hatten. Derweil verliert der Anstieg der Verbraucherpreise an Dynamik. Stiegen die Preise im April zum Vorjahresmonat noch um 2,3 Prozent, so waren es im Mai nur noch +2,0 Prozent.
Und auch aus Japan hört man nur wenig Positives. Zwar wuchs dort die Wirtschaft nach endgültigen Daten der Regierung im ersten Quartal um 1,9 Prozent, womit die vorläufige Schätzung von 1,7 Prozent leicht übertroffen wurde, dafür sanken aber die Aufträge im Maschinenbau im April weitaus stärker als erwartet. Die Kernaufträge, die ein wichtiger Indikator für Investitionen der Unternehmen sind, gingen um satte 11 Prozent zum Vormonat zurück.
Wir müssen uns an geringere Wachstumsraten gewöhnen
Darin könnten sich Ansätze einer längerfristigen Entwicklung zeigen. So ist zum Beispiel die Deutsche Bank der Meinung, dass wir uns insgesamt auf mittelfristige Sicht mit geringeren Wachstumsraten zufrieden geben müssen, insbesondere in den Industrienationen. Dafür würden unter anderem die alternden Gesellschaften sowie das rückläufige Produktivitätswachstum sorgen, so das Bankhaus in einer aktuellen Analyse.
Fakt ist, dass zum Beispiel die Arbeitsproduktivität der USA in den letzten fünf Jahren im Durchschnitt nur um 0,5 Prozent gewachsen ist. In vielen anderen Industrieländern sieht es ähnlich düster aus. Das begrenzt den Spielraum für Lohnwachstum, was sich wiederum negativ auf die Inflation und darüber auf die Preisgestaltung der Unternehmen auswirkt. Deren Gewinnmargen bleiben damit unter Druck, womit wiederum kein Spielraum für höhere Investitionen entstehen kann. Von der Produktivität hängt also letzten Endes ab, wie schnell das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wachsen kann.
Es mangelt an wachstumsfördernden Innovationen
Was in dieser Situation helfen könnte, wären neue Innovationen, die in der Lage sind, die industrielle Produktion zu revolutionieren. Zuletzt haben wir das in den 80 und 90er Jahren mit der Computerisierung der Produktion erlebt. Doch die Innovationen der vergangenen 10 Jahre sind bei weitem nicht mit solch revolutionären Prozessen zu vergleichen.
Einzig der 3D-Druck könnte im Bereich Produktion in der Lage sein, die nächste industrielle Revolution einzuleiten und damit wieder zu deutlich höherer Produktivität führen. Doch dürfte sich dies erst in einigen Jahren bemerkbar machen, wenn die Technik ausgereifter ist und dann auch tatsächlich immer mehr in Produktionsprozesse eingreift.
Vor diesem Hintergrund ist auch verständlich, dass die Notenbanken aktuell davon ausgehen, noch mindestens bis Ende 2017 / Anfang 2018 eine expansive Geldpolitik betreiben zu müssen. – Irgendwie passt doch alles zusammen, wenn man das große Gesamtbild betrachtet.
Was also tun?
Daher stellt sich natürlich die Frage, was man jetzt tun kann. Und damit komme ich zurück auf die gestrige Ausgabe von „Börse-Intern“. Viele Menschen scheinen derzeit der Auffassung zu sein, dass Aktien unattraktiv sind. Nach über einem Jahr Korrektur und zweieinhalb Jahren Kampf um die 10.000er Marke im DAX ist das durchaus nachvollziehbar. Blickt man zudem auf die Chartanalyse oben, dann könnte es sogar noch einmal kräftig abwärts gehen.
Doch genau wie damals bei Immobilien und Anleihen, als es noch einige Zeit dauerte, bis die günstiger bewerteten Anlageklassen zu Depotstürmern wurden, dürfte es bald bei Aktien laufen. Das Problem ist, niemand weiß genau, wann das sein wird. Denn zum Start einer Rally wird schließlich nicht geklingelt. Und wenn sie kommt geht es meist sehr schnell und wieder einmal ist keiner dabei.
Besonders Aktien aus Deutschland sind günstig bewertet
Es gibt jedoch Gründe, die trotz schwächeren Wachstumsraten schon jetzt für Aktien sprechen. So liegt die Dividendenrendite im DAX aktuell bei 3,5 Prozent. Mit kaum einem anderen Investment erzielt man derzeit derart hohe Renditen. Zudem ist der Index bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 12,3 in langfristiger Perspektive aktuell moderat bewertet. Und gerade Aktien aus dem DAX sind im Vergleich zu anderen Indizes günstig. Ob in den USA der Dow Jones (15,8) oder in Japan der Nikkei 225 (16,0) – Aktien sind dort gemessen am KGV deutlich teurer. Im Vergleich zu Anleihen sind aber selbst diese Indizes immer noch extrem günstig bewertet.
Fazit
Wenn man jetzt Aktien kauft, dürfte man in einigen Jahren in jedem Fall ein Lächeln im Gesicht haben. Langfristig betrachtet kann man also mit dem Kauf von Aktien (wahrscheinlich) nichts falsch machen (wenn man auf die richtigen Werte setzt oder breit streut). Sollte es noch einmal zu einer stärkeren Korrektur kommen, dann könnte dies sogar das letzte Mal sein, dass man Aktien auf diesem Niveau kaufen kann. Denn nach wie vor gilt meine Einschätzung: Kurzfristig sind die Korrekturen noch nicht zu Ende. Und auch gerade der heutige Tag hat den Bullen noch mal einen kleinen Tiefschlag versetzt. Langfristig ist der Ausblick aber eindeutig bullish für die Aktienmärkte.
Viele Grüße
Ihr
Sven Weisenhaus
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